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Wie der Frosch im Milchtopf

Drei Frauen sitzen an einem Tisch und reden miteinander.
Mysoun Alyakoub (Mitte) bespricht mit ihren Kolleginnen Franziska Frisch (links) und Dua Abbas (rechts) die nächsten Tage. (Foto: Fachkraft im Fokus)

Kennen Sie die Geschichte von den Fröschen im Milchtopf des griechischen Autoren Aesop? Zwei Frösche sprangen in einen Milchtopf und glaubten, nicht mehr lebendig aus dem Topf heraus zu kommen. Doch ein Frosch schwamm und schwamm bis aus der Milch Butter wurde und er aus dem Eimer springen konnte. Der Frosch hat an sich geglaubt und an seinem Ziel festgehalten, auch wenn es aussichtlos schien.

Warum wir die Geschichte erzählen? Weil sie auf die letzten Monate von Mysoun Alyakoub passen. Die Syrerin flüchtet 2015 allein mit ihren beiden Kindern nach Deutschland. Ihr Ehemann kann erst Monate später nachkommen. Den beiden ist es von Anfang an wichtig, sich zu integrieren. Sie belegen Integrations – und Sprachkurse, die Kinder besuchen Schule und Kindergarten. Über KAUSA finden Sie im Juni 2017 in die Beratung von Willkommensbegleiterin Lisa Stoye, um sich Unterstützung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz in Dessau zu holen. „Ich war zu diesem Zeitpunkt noch in meinem B2-Sprachkurs, wollte aber frühzeitig mit der Planung beginnen“, erinnert sich Mysoun Alyakoub. Gemeinsam mit Lisa Stoye wird ein Kompetenzprofil erstellt und erste Ideen für Vermittlungsperspektiven besprochen. „Frau Alyakoub ist studierte Lehrerin mit Berufserfahrung. Daher gab es für uns zwei Ansätze, zum einen eine kurzfristige Perspektive in der Projektarbeit oder als Büroassistenz. Als langfristige Perspektive wünschte sie sich jedoch eine Anstellung in ihrem Fachgebiet der Philosophielehre an einer Hochschule. Wir wussten beide, dass vor uns ein langer und schwieriger Prozess wartete. Wie schwierig es wirklich würde, ahnten wir natürlich nicht“, so die Willkommensbegleiterin.

Die Übersetzung der Zeugnisse dauert unüblich lange. Erst Ende 2018 kann Mysoun Alyakoub ihren Antrag auf Anerkennung ihres Studiums im Fach Literaturwissenschaften und Philosophie stellen. Zwischenzeitlich absolviert sie einen C1-Sprachkurs. In weiteren Gesprächen mit Lisa Stoye kristallisiert sich immer mehr heraus, dass Mysoun Alyakoub eine Tätigkeit mit Kindern anstrebt „wenn Frau Alyakoub über ihre Erfahrungen als Lehrerin und Erzieherin sprach, strahlten ihre Augen und sie wirkte emotional“, erzählt Lisa Stoye. Das Ziel ist klar, eine Integration als Erzieherin wird angestrebt.

Es beginnt eine intensive Netzwerkarbeit. Lisa Stoye tauscht sich mit ihren Kolleg*innen aus, recherchiert Qualifizierungsangebote, fragt nach, nutzt Veranstaltungen wie das Entwicklungsforum der Leitprojekte zur Fallbesprechung mit dem entmutigten Ergebnis, dass keine Qualifizierung oder Quereinstieg in Frage kommt, trotz der langwierigen Einholung entsprechender Tätigkeitsnachweise aus Syrien. Auch vom Landesschulamt gibt es nur eine negative Prognose, da Literaturwissenschaft und Philosophie nicht zum deutschen Lehrplan gehören. Trotz der Rückschläge hält Mysoun Alyakoub an ihrem Wunsch fest und strebt eine Ausbildung als Erzieherin an.

In einer Veranstaltung trifft Lisa Stoye auf Franziska Frisch, Projektleiterin bei der AWO SPI GmbH in Dessau und schildert ihr den Fall. Aus der anfänglichen Idee eines Praktikums zur Vorbereitung der Ausbildung wird eine befristete Festanastellung bis Juni 2020. „Dass Frau Alyakoub in unserem Team angefangen hat, war eine Mischung aus Not, Zufall und Kreativität. In unserem Team gab es personelle Veränderungen. Frau Alyakoub benötigte 600 Stunden praktischer pädagogischer Tätigkeit als Zugangsvoraussetzung, um die Ausbildung zu beginnen“, erzählt Franziska Frisch. Seit dem 1. April arbeitet Mysoun Alyakoub im Projekt „Kita-Einstieg: Brücken bauen in frühe Bildung“ und „Starke Netzwerke: Elternbegleitung für geflüchtete Familien“.  Zielgruppe der Projekte sind Migrant*innen und ihre Familien. Viele sprechen kein Deutsch und haben andere kulturelle Erwartungen frühkindlicher Bildung. „Meine Aufgabe ist es, als sprachliche Mittlerin vor Ort zu sein. Aushänge zu übersetzen, den Familien die Möglichkeit zu geben, mit den Erzieher*innen zu sprechen. Zum anderen möchte ich den Familien die Bedenken nehmen, dass Kindergarten in Deutschland bedeutet, durch Spielen die Welt zu entdecken und zu erschließen. In Syrien heißt Kindergarten von Anfang an Lernen“, erklärt Mysoun Alyakoub. Sie ist nun täglich in verschiedenen Einrichtungen in Dessau und unterstützt die Erziehe*innen in den Kindergärten oder Horteinrichtungen.

„Frau Alyakoub ist ein Gewinn für jede Kindereinrichtung. Die Träger sind überfordert mit den vielfältigen kulturellen und sprachlichen Hürden ausländischer Eltern. Frau Alyakoub bringt nicht nur Sprachkenntnisse mit, sondern großen Integrationswillen, langjährige Erfahrungen im Umgang mit Kindern, Durchsetzungsvermögen, Kompromissbereitschaft und einen sehr toleranten Blick auf Vielfalt. In Sachsen-Anhalt haben wir einen enormen Fachkräftemangel im Bildungssektor. Wenn wir ausländische Fachkräfte zukünftig großflächig erfolgreich integrieren möchten, dann muss die Wirtschaft toleranter, das behördliche System überarbeitet und mehr Quereinstige geschaffen werden. Es wäre andernfalls wirklich schade, um das verschwendete Potential solch qualifizierter und engagierter Frauen (und Männer) wie Frau Alyakoub“, gibt Willkommensbegleiterin Lisa Stoye zu bedenken.